Verein zur Förderung der Kinder- und Jugendliteratur e.V.

Jugendbücher

Be my first

Be my first
Jay McLean
Ravensburger
Verlagsempfehlung ab 16 Jahre
Connor muss für seine Basketballkarriere in seinem letzten Jahr die High School wechseln. Anfangs ist er wenig begeistert von der plötzlichen Umstellung. Doch als er in seiner ersten Unterrichtsstunde neben Ava sitzt, ändert sich alles. Obwohl sie von den anderen kaum beachtet wird und sich von der Welt abzuschotten scheint, übt Ava eine unerklärliche Anziehungskraft auf Connor aus. Ava ist nicht ohne Grund so isoliert. Ein stadtbekannter Vorfall mit ihrer Mutter hat sie dazu gebracht, den Kontakt zu anderen Menschen zu vermeiden. Doch auch sie spürt eine unerklärliche Verbindung zu Connor. Langsam beginnen die beiden sich einander anzunähern. 
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Das Buch verspricht auf dem Rücken „Intensiv. Bittersüß. Sexy.” zu sein.
Der Anfang war aufgrund des angenehmen Schreibstils noch vielversprechend. Allerdings erwies sich die Geschichte als alles andere als romantisch. Die Triggerwarnung am Anfang wies auf Gewaltdarstellungen hin, was darauf schließen lässt, dass das Buch auf seine Sensibilität geprüft wurde. Leider wurden dabei zahlreiche kritische Punkte übersehen. Es wäre vertretbar gewesen, wenn diese Punkte einen ästhetischen Nutzen gehabt hätten oder eine gewisse Mehrdeutigkeit oder einen anderen Sinn und Zweck erfüllt hätten. Doch stattdessen wurden Dinge wie Bodyshaming, Sexting mit Bildern und schädliches Verhalten innerhalb der Beziehung von Conor und Ava unkommentiert dargestellt und sogar romantisiert. Wenn Connor der Auffassung ist, dass Ava ihren kurzen Schulrock (in der Schule) trägt, um ihn zu provozieren, frage ich mich, um welchen Preis der Roman “intensiv” sein soll. 

Das Trauma der Mutter und die damit verbundene Belastung hätten der Geschichte eine Tiefe verleihen können, die ich nicht einmal von einem Romance-Roman erwartet hätte. Dadurch hätte Conor die Möglichkeit gehabt, subtil sein wahres Ich zu zeigen. Ich glaube jedoch nicht, dass die Autorin ihn tatsächlich als besitzergreifenden und egoistischen Partner darstellen wollte. Vielmehr scheint sie gedacht zu haben, dass dies der Zielgruppe junger Mädchen gefallen würde. Der gewählte Perspektivwechsel hätte ebenfalls viel Potenzial gehabt, aber leider wurde er falsch genutzt. Als Ava sich trotz ihrer sozialen Ängste dazu entscheidet, sich aufgrund ihrer “Liebe” zu Conor einer High-School-Veranstaltung anzuschließen, wird dies von Conor auf eine unempathische Weise erzählt. Trotz seiner innigen Liebesschwüre zeigt er gegen Ende wenig Verständnis, wenn Ava andere Sorgen hat, die nichts mit seiner Basketballkarriere zu tun haben. 
Auch Avas Verhalten ist an vielen Stellen sehr fragwürdig und es entwickelt sich das, was man heute als toxische On-Off-Beziehung bezeichnen würde. 

Mehr belastend als bittersüß kann ich dieses Buch eigentlich niemandem empfehlen, da ich es sehr bedenklich finde, was hier als romantische und erotische Unterhaltung verkauft wird.

Raphaela Brosseron

When you get the Chance – Ein Herz voller Träume

When you get the Chance - Ein Herz voller Träume
Emma Lord
one
Verlagsempfehlung junge Erwachsene
„Millie, du bist kein Mensch. Du bist eine Achterbahn.”
Millie arbeitet, seit sie klein ist, an ihrem Traum: Broadway-Star. Für Rückschläge, die gerne auch mal im Internet landen, hat sie ihre eigenen Strategien entwickelt und so erfindet sie sich alle sechs Monate neu, auf jede Rolle stets vorbereitet. In der Theater-AG ihrer Schule scheint ihr nur Oliver im Weg zu stehen. Er ist nicht immer einverstanden mit ihrer aufbrausenden und einnehmenden Art. Trotzdem spürt man, dass sie sich vielleicht gut ergänzen könnten. Millies Vater spricht sich gegen das Pre-College aus, für das sie heimlich vorgesungen hat, was zu einer ihrer berüchtigten "Millie-Launen" führt. 
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Aus Frust beschließt sie, ihr eigenes Mamma Mia Musical durchzuspielen, zumindest was die Suche nach der Mutter angeht. Vielleicht kann die Mutter, die sie nicht kennt, sie bei ihren Träumen unterstützen?

Millie ist ein Teenager voller Energie und Ehrgeiz, der von Visionen und Ambitionen angetrieben wird, um die man sie beneiden könnte. Oliver ist ebenfalls ehrgeizig, aber ruhig und stellt eher einen Gegenpol zu Millie dar. Trotz ihrer Streitereien spürt man, dass sie sich möglicherweise gut ergänzen könnten. Die anderen Charaktere in der Geschichte, wie ihre Tante Heather, ihr bester Freund Teddy mit seiner Geocaching-Leidenschaft und ihr nerdiger Vater, sind ebenfalls gut ausgearbeitet und fügen sich perfekt in die Geschichte ein. Man begreift bei dem Umfeld sofort, warum Millie bis jetzt nicht nach ihrer Mutter gefragt hat und auch Millie lernt bei ihrer Suche, dass sie mit den Menschen in ihrem Leben bereits wahnsinniges Glück hat - das sich eventuell sogar vermehrt. Sehr gelungen ist auch die Liebesgeschichte, die sich nie in den Vordergrund drängelt oder Millie sogar von ihren Träumen abhält. Sie entwickelt sich langsam und beruht auf einem tatsächlichen Kennenlernen, nicht auf einem plötzlichen Liebesanfall. Millie ist die ideale Besetzung der Hauptprotagonistin und Ich-Erzählerin, sie ist inspirierend, stark, reflektiert, talentiert und manchmal auch einfach nur Millie, eine junge Frau, die noch nicht weiß, was wird. Ich wünschte, ich könnte sie tatsächlich mal am Broadway sehen, aber ich gebe mich auch mit ihrer Rolle im Roman mehr als zufrieden!

Raphaela Brosseron

Nordstadt

Nordstadt
Annika Büsing
Steidl
Leseempfehlung 14 Jahre
Nominierung Jugendliteraturpreis 2023 Neue Talente
Wie wir es vom Ruhrgebiet her kennen, ist die Nordstadt immer der sozial schwächere Teil der Stadt. Nene, die die Geschichte aus ihrer Sicht in der Ich-Form erzählt, ist hier aufgewachsen und hier wohnt sie auch noch immer. Nach dem Schulabschluss hat sie eine Ausbildung zur Bademeisterin gemacht und ist nun mit Anfang zwanzig für das Schwimmbad zuständig, indem die Schwimmen gelernt hat. Hier wurde sie trainiert und hier hat sie ihren traurigen Alltag vergessen. Vergessen heißt auch ihre Strategie, die kämpft nicht, weder gegen ihren Vater noch gegen ihren Vergewaltiger.
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Sie lebt ihren Alltag und versucht alles zu vergessen, was nicht bedeutet, dass sie es auch verzeiht. Da betritt Boris das Schwimmbad und damit auch ihr Leben. Boris, der seine Beine wegen der Kinderlähmung nicht richtig nutzen kann. Boris, der keinen Job hat und dem die Schmerzen schlechte Laune machen.
Die beiden gehen ins Kino und ins Bett, beides schildert die Autorin genau, denn auch diese Aktivitäten verlaufen nicht wie man es erwartet.

Das Buch hat eine ehrliche Sprache, die auch vor groben Worten und Sex nicht zurückschreckt. Trotzdem spürt man die empfindsame Nene, die geliebt werden möchte. „So nennen wir das manchmal, Option“ ist ein häufiger Satz, aber eigentlich haben die beiden nicht viel davon. 
Aber wir wünschen ihnen, dass sie trotz der schlechten Vorgeschichten ein wenig Glück finden werden. 

Dagmar Mägdefrau

Skaterherz

Skaterherz
Brenda Heujnis
Mixtvision
Verlagsempfehlung 2. bis 3. Klasse
Elias braucht ein Spenderherz und als es endlich so weit ist, hat er sein Leben schon ganz und gar auf seinen schlechten Gesundheitszustand eingestellt. So schaut er ständig auf die Uhr und zählt seinen Plusschlag. 
Seine Eltern, besonders die Mutter verlangt ständig, dass er sich schont. Boyd ist Skater und kein bisschen vorsichtig, so versucht er über das Geländer einer Autobahnbrücke zu fahren und stürzt ab. Sein Herz passt zu Elias und so wird der Junge zum Spender. So ganz kann er sich aber nicht von dieser Welt lösen, denn er hat etwas Schlimmes getan und hatte keine Chance, das ihm vergeben wurde. So ist er an Elias gebunden und kann sich nicht weit von ihm entfernen.
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Das vorsichtige Leben des kranken Jungen kann er gar nicht nachempfinden und so drängt er ihn immer wieder was Neues auszuprobieren. Die Geschichte wird fortlaufend immer im Wechsel von beiden Jungen erzählt, so erfahren wir viel über die Gefühlswelt der beiden. Im Leben wären sie wohl keine Freunde geworden dafür ist ihr Umfeld und ihre Lebensweise zu verschieden. Aber hier baut sich eine rücksichtvolle Beziehung auf, die beiden hilft mit dem Leben bzw. mit dem Tod klarzukommen.

Ich habe viel über dieses Buch nachgedacht und meine Gefühle schwankten zwischen Trauer und Erleichterung, Verständnis und Nicht-fassen-können. 

Dagmar Mägdefrau


Elias, der seitdem er denken kann im Krankenhaus aufgrund seines Herzleidens behandelt wird, wartet auf ein Spenderherz. Sein Leben besteht aus zahlreichen Untersuchungen, seine Eltern trauen ihm vor lauter Sorge wenig bis gar nichts zu. Boyd hingegen lebte ein aktives und risikofreudiges Leben als leidenschaftlicher Skater. Als Elias schließlich das lang ersehnte Spenderherz bekommt, beginnt er zu spüren, dass es eine Verbindung zwischen ihm und Boyd, dem Spender, gibt. Plötzlich sieht er den einst so lebendigen Boyd, der gar nicht zufrieden damit ist, dass sein Skaterherz nun mit Elias fast nur rumliegt. Elias braucht nicht nur Boyds Herz, um sein neues Leben anzugehen, auch Boyd braucht Elias, denn er ist mit der Welt der Lebenden noch nicht fertig. 

Von Anfang an nimmt die Geschichte einen mit, egal aus welcher Perspektive sie geschildert wird. Der lebendige Boyd, der jetzt in einer Art Zwischenwelt gefangen ist und der schwache Elias, der eine Art Leistungsdruck gegenüber Boyd, dem Spender seines neuen Herzens verspürt. Ohne die Ausprägung dieser Zwischenwelt zu übertreiben und die Handlung damit in einen unrealistischen Bereich zu drängen, verfolgt der Autor beide Jungs, ihre Gefühle und ihre Gedankengänge auf eine kindgerechte und sensible Weise. Die Beziehung der Jungs ist trotz aller Umstände eine Freundschaft zwischen Gleichaltrigen, die sich vertrauen. Vor allem die kleinen Details, die Boyd aus seinem Leben mit seinem Opa, seinen Eltern und seinem Hund Nero erzählt, lassen einen mitfühlen. Ein wenig wehmütig, aber nicht ohne das wohlige Gefühl, dass am Ende auch ein schwieriges Thema wie der Tod schön erzählt werden kann, werden wir aus der Erzählung der beiden Jungs entlassen. Ein sehr berührender und abwechslungsreicher Roman für jedes Alter.

Raphaela Brosseron

Julia und der Hai

Julia und der Hai
Kiran Millwood Hargrave
Illustriert von Tom de Freston
Loewe
Verlagsempfehlung ab 11 Jahre
Buch des Monats März 2023
So gelb wie das Cover (teilweise) ist, ist auch das Buch der zehnjährigen Julia, genannt Juli. In dieses Notizbuch schreibt sie alles über das Meer hinein, was sie von ihrer Mutter, einer Meeresbiologin, erfährt. Das können die lateinischen Namen der Arten sein, die Größe eines bestimmten Tieres oder eben das Alter des Grönlandwals - über 400 Jahre.
Und weil er so alt wird, will die Mutter ihn erforschen und so vielleicht ein Mittel gegen Demenz finden. Praktisch, dass ihr Mann auf Unst, der nördlichsten der Shetlandinseln, einen Leuchtturm reparieren soll.
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Juli, ihre Eltern und ihre Katze Nudel wohnen einen Sommer in diesem Leuchtturm - Julis Mutter hat also wenig Zeit, die Forschungsgelder zu erhalten. Aufgeben kann sie nicht. Das, was Juli vorher an ihrer Mutter so bewundert hat, bereitet ihr langsam Angst. Der Ehrgeiz wird zur Verbissenheit, die Begeisterungsfähigkeit schwankt oft hin zu Stimmungstiefs. Nur gut, dass Juli in dem kleinen Ort in Kin einen Freund gefunden hat, der ihr nicht das Meer, aber die Weite der Sterne zeigt. 

Das liebevoll gestaltete Buch zieht einen schon mit dem ersten Satz in seinen Bann: “Das Meer birgt mehr Geheimnisse als der Himmel.”, und kann diesen Bann ganze Zeit halten. Sprache, Illustration und Inhalt haben was magisches, werden gerade durch die wissenschaftlichen Aspekte und die psychische Erkrankung der Mutter aber immer wieder mit der Realität verbunden. Sehr einfühlsam werden nicht nur diese heiklen Themen angegangen. Juli ist eine wissbegierige und empathische Protagonistin, die über sich hinauswächst. Selten lernt man auf so eine schöne und anschauliche Weise so viel über das Meer, die Sterne und das Leben, sodass jedes Alter ein tolles Leseerlebnis haben wird. 

Raphaela Brosseron

Anatomy – Eine Liebesgeschichte

Anatomy - Eine Liebesgeschichte
Dana Schwartz
Loewe
Verlagsempfehlung ab 14 Jahre
Was auf dem Cover zunächst aussieht wie ein anatomisches Herz, ist eigentlich eine junge Frau in einem aufwendigen, dunkelroten Gewand, von oben betrachtet. 
Hazel lebt Anfang des 19. Jahrhundert in Edinburgh und sollte eigentlich Interesse an Kleidern und ihrem Verlobten hegen, doch ihr Herz schlägt für die Wissenschaft, vor allem für die Chirurgie. Ganz unschicklich für eine Dame ihres Standes seziert sie Frösche, bis sie die winzige Chance erhält tatsächlich zu studieren. 
Frösche helfen da leider wenig, doch der “Auferstehungsmann” Jack ist zufällig darauf spezialisiert, Leichen für Studierende zu besorgen.
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Das angestrebte Studium entspricht wenig den Vorstellungen, denen Hazel in dieser Gesellschaft unterliegt, und die Gefühle, die sie langsam zu Jack aufbaut, mindestens genauso wenig. Ganz nebenbei passieren in Edinburgh merkwürdige Dinge: Menschen verschwinden und die römische Pest scheint sich wieder auszubreiten. 
Wie das Cover vermuten lässt, ist dies die Geschichte einer jungen Frau. Die mutige Hazel lässt sich von ihrem Traum, Chirurgin zu werden, nicht abbringen. Der personale Erzähler bleibt bei der Geschichte meistens bei Hazel, manchmal begleitet er auch Jack. Die beiden erzählen nicht selbst, sodass wir eine leicht beobachtende Haltung einnehmen, was ganz gut zum Inhalt passt. Hazel kann die Männer, die ihren Traum leben und einfach in die Uni gehen und studieren, meistens auch nur von weitem beobachten und auch Jack hält eigentlich Abstand zur höheren Schicht der Gesellschaft und behält von oben aus dem Theater, wo er arbeitet, den Überblick. 

Die Liebesgeschichte, die im Untertitel angekündigt wird, ist vollkommen gelungen. Sie entwickelt sich langsam und realistisch, ohne Hazel von ihrem Tun abzuhalten.
Äußerst interessant sind die Passagen vor den Kapiteln, die ein Lehrwerk der früheren Chirurgie nachahmen.

Ein wunderbarer Jugendroman mit einer eindrucksvollen, klugen und mutigen jungen Frau, der neugierig macht, die Spannung hält und nicht nur das anatomisch korrekte Herz höherschlagen lässt.

Raphaela Brosseron

Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück

Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück
Zoran Drvenkar
Hanser
Verlagsempfehlung ab 11 Jahre
Kais Opa ist bereits 100 Jahre alt, als er aufwacht, die Treppen runter geht und den 11-Jährigen gefesselt sieht. Als er sich - mal wieder - nicht erinnern konnte, hielt er ihn für einen Einbrecher. Kai reicht es und beschließt, das Gedächtnis seines Opas zu werden. Wie schwer kann das schon sein, schließlich kennt er alle Geschichten seines Opas aus Kriegszeiten.  Die beiden gehen auf eine Reise in alte Zeiten und Kai muss schnell merken: Krieg ist weder spaßig, noch stimmen alle Erzählungen seines Opas. Auch der Opa ist erstaunt darüber, was sein Enkel für die Wahrheit hält und ihm wird klar, dass er sich damit die Erinnerungen selbst verbaut hat und ein falsches Bild vom Krieg vermittelt hat.
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Trotzdem erleben sie die wichtigsten Ereignisse noch einmal zusammen und können den schmerzhaften Erinnerungen nicht mehr ausweichen. 

Zoran Drvenkar holt das persönliche Erzählen vom Schmerz des Krieges mit all seinen Ausschmückungen und Verdrängungen in die Gegenwart und macht die Erinnerung allgemein zugänglich. Der Erzähler der Geschichte gibt nicht bloß die Geschichte wieder, er ordnet ein, leitet und kommentiert, wodurch dieses schwierige Thema für eine jüngere Leserschaft einfacher nachzuvollziehen ist. Vorab werden wir über drei besonders schlimme Momente gewarnt, sodass man nicht unvorbereitet hineingeschleudert wird. Die Vogelperspektive des Erzählers, der alles sieht, markiert die Erzählung als Geschichte, nimmt ihr jedoch nichts von ihrem Wahrheitsgehalt. Ganz im Gegenteil, der Zugang zu den Erinnerungen des Opas ist besonders glaubhaft, da seine eigenen Aussagen in ein richtiges Licht gerückt werden. Trotz des Schmerzes schafft die liebevolle Beziehung von Opa und Enkel ein schönes Lesegefühl. Wenn man schon jemanden im Krieg begleiten muss, dann Kai und seinen Opa, denn so können sowohl jung und alt kennenlernen wie man am besten mit den eigenen Erinnerungen, aber auch denen der anderen umgeht. Für Kinder könnte die Erzählperspektive zunächst abstrakt und ungewohnt sein, allerdings passt sie gut zu der Botschaft, die vermittelt werden soll.

Raphaela Brosseron

Der elfjährige Kai hat eine besondere Beziehung zu seinem hundertjährigen Opa. Opa hat ihm in der Vergangenheit viel von seinen Erlebnissen erzählt. So begann der 32 Jahre dauernde Krieg mit seinem Niesen als Baby.
Jetzt kann der Opa sich oft nicht einmal an Kai erinnern und so will Kai ihn, als sein Gedächtnis, in die alten Zeiten zurückführen. 

Für mich war es nicht immer ganz einfach zu verstehen, wie Kai quasi als sein Opa, aber auch an der Seite seines Opas alles noch einmal erlebte und dabei feststellen muss, dass nicht alles so war, wie Opa es ihm immer wieder geschildert hat.
In lichten Momenten kann Opa Kai auch genau erklären, wie es kam, dass er seine Geschichten anders aufbereitet an seinen Enkel weitergab.

Eindringlich und beängstigend werden in diesem Buch die Schrecken des Krieges beschrieben. Aber gerade deshalb finde ich es wichtig dieses Buch zu lesen, denn, wenn auch jetzt durch den Ukraine-Krieg dieses Thema wieder präsenter geworden ist, muss doch immer wieder aufgezeigt werden, dass Krieg immer Tod, Zerstörung und Elend bedeutet. Das wird hier auf eine ungewöhnliche und fesselnde Weise dargestellt.

Dagmar Mägdefrau

Rory Shy – Der schüchterne Detektiv – Ein Clown unter Verdacht

Rory Shy – Der schüchterne Detektiv - Ein Clown unter Verdacht
Oliver Schlick
ueberreuter
Verlagsempfehlung ab 10 Jahre
Der fünfte Band dieser Reihe hält einiges an Spannung bereit. Diesmal wird ein Mitarbeiter einer Agentur, die u.a. Clowns vermittelt angefahren. Da er auf dem Weg war um sich mit einer Reporterin zu treffen, vermutet diese einen Anschlag und engagiert Rory Shy mit der Ermittlung des Falls. Da Matildas Eltern ein Großtante beim Umzug helfen, kann sie Rory bei seiner Detektivarbeit unterstützen. In der Wohnung des Opfers treffen die beiden auf Harry Ulfern, einen Detektiv dessen Selbstvertrauen, trotz ständiger Unzulänglichkeiten, riesig ist. Rory hat bei ihm eine Praktikum gemacht und erfährt, dass der Bruder es Opfers diesen Detektiv mit den schlechtesten Bewertungen auf den Fall angesetzt hat.
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Da Rory Angst vor Clowns hat kostet ihn dieser Fall einiges an Überwindung, doch Matilda steht ihm helfend zur Seite.

Neben der Spannung ist die Geschichte mit einigen witzigen Details ausgeschmückt. So taucht ständig eine# blöder Witz auf, der schlecht erzählt wird. Am Ende erstaunt uns Rory mit seiner Kombinationsgabe und kann so den Täter stellen. Wieder eine lesenswerter Krimi über den Schüchternen Detektiv. 

Dagmar Mägdefrau

Kein Horizont zu weit

Kein Horizont zu weit
Alexandra Flint
Loewe Intense
Verlagsempfehlung ab 16 Jahre
Leni ist 22, wohnt auf Sylt und macht in der Werft ihres Vaters eine Ausbildung zur Schiffbauerin. Sie liebt das Leben auf der Insel, die herzliche Großmutter leitet dort ein Café, zwei ihrer drei besten Freundinnen sind nah bei ihr und sie kann sich jederzeit ihrer großen Leidenschaft, dem Segeln, widmen. Die Insel hat, unabhängig von Stürmen und Unwettern, jedoch eine düstere Zeit hinter sich, denn vor 5 Jahren brannte ein großes Familienhotel nieder. Dabei verlor Rafe, in den Leni gerade so richtig verliebt war, seinen Vater und seinen Bruder. Er verschwand von der Insel und mit ihm ein Stück von Lenis Herz, doch 5 Jahre später steht er vor ihr und leitet das neue Bauprojekt, an dem sie und ihr Vater auch beteiligt sind.
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Von der einstigen Liebe ist erstmal nicht viel übrig - denkt sie zumindest.
Uns wird hauptsächlich aus Lenis gegenwärtiger Perspektive erzählt, vor allem von dem Gefühl, was die anfängliche Abneigung Raffaels in ihr auslöst. Durch kleinere Rückblicke aus seiner Perspektive erfahren wir, was sein schweres Schicksal mit ihm gemacht hat. Langsam, unaufgeregt und ohne zusätzliches, künstliches Drama nähern die beiden sich wieder an. Dabei steht nicht nur die Beziehung der beiden im Vordergrund. Leni hat eine tolle Familie, die sie immer wieder auffängt, mindestens genauso tolle Freundinnen und hat zusätzlich ihre eigenen Interessen. Da sie gerade in der Prüfungsphase ist, lernen wir einiges über ihre Ausbildung zur Schiffbauerin, was super interessant ist und zeigt, dass man sich auch von den ganz großen Gefühlen nicht zu sehr ablenken lassen darf. 

Die Liebesgeschichte kommt trotzdem gut zur Geltung, vor allem in der wunderschön beschriebenen Atmosphäre Sylts, die in einem Fernweh weckt. 
Es wird sehr viel auf den Verlust Raffaels eingegangen und sein Verhalten ist nicht immer gut, aber irgendwo verständlich, manchmal fehlte mir dieses Verständnis bei Leni und ich hatte den Eindruck, sie stellt ihr gebrochenes Herz auf eine Stufe mit seinem Schicksal. 

Nichtsdestotrotz ist sie eine sympathische Figur. Ich freue mich auf die Folgebände und bin gespannt, welche ihrer Freundinnen da erzählen darf - hoffentlich wieder auf Sylt!

Raphaela Brosseron

Die zweite Entdeckung der Welt – Alexander von Humboldts Expedition nach Südamerika

Die zweite Entdeckung der Welt - Alexander von Humboldts Expedition nach Südamerika
Bettina Schary
Knesebeck
Die Graphic Novel über die Reise Alexander von Humboldts nach Südamerika ist mit einem schwarzen Stift gezeichnet und nur hin und wieder coloriert. Das Besondere an dieser Geschichte ist, dass die Autorin die Protagonisten mit moderner Technik ausgerüstet hat. So erfährt er vom Tod seiner Mutter durch sein Smartphone, erklärt Humboldt einem Preußischen Beamten seinen Plan im Aufzug per Power Point und nutz eine moderne Spiegelreflexkamera. Auf der anderen Seite wird ein Kerzen angezündet und die Seereise erfolgt mit Segelschiffen.
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Erst nach dem Tod seiner Mutter, die ihm eine solche Reise untersagt hat und weil er ein Erbe von ihr bekommen hat, kann Alexander nach Südamerika reisen. Zusammen mit seinem Freund Aimé Bonpland geht es über Teneriffa Richtung Südamerika. Hier entdeckt er viele unbekannte Tiere und erforscht den Zusammenfluss von Orinoko und Amazonas. Von schickt er (Twitter)-Nachrichten in alle Welt, benennt die entdeckten Tiere und Landschaften mit (seinem) Namen. 

Ich finde es sehr spaßig, um 1800 unsere Technik einzusetzen, so sitzt der Forscher nachdem er zurückgekehrt ist bei Markus Lanz in der Talkshow. So wäre es ihm sicher heute ergangen. Diese Mischung aus Information und Fiktion finde ich gut gelungen und sie macht das Buch sicher für junge Menschen, die nicht so gerne lesen interessant.

Dagmar Mägdefrau

Best Bro ever!

Best Bro ever!
Jenny Jägerfeld
Urachhaus
Verlagsempfehlung ab 10 Jahre
Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2024
Måns wohnt eigentlich in Stockholm, verbringt aufgrund der Arbeit als Synchronsprecherin seiner Mutter jedoch einige Tage in Malmö. Måns hofft sich eine schöne Zeit mit dem Skateboard, auch wenn er die Babysitterin Nora zunächst nicht loswird. Trotz ihrer Aufsicht trifft er bei einer Mutprobe auf Mikkel, der sein “Best Bro ever” wird. Die beiden versprechen sich absolute Wahrheit, doch als Mikkel etwas findet, was für ihn eine Lüge beweist, ist die Freundschaft zunächst auf Eis gelegt. Für Måns ist dieser Pass mit dem alten Foto eine viel größere Lüge, nur muss er sich noch überwinden und Mikkel das erklären, um seinen Bro zu behalten. 
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Wer wie, ich ohne den Klappentext zu lesen, einfach mit der Geschichte anfängt, ist von der Måns' Vergangenheit überrascht. Es war zunächst ein wenig schade zu lesen, dass diese Wendung eigentlich vorab angekündigt in der Inhaltsangabe zu lesen ist. Andererseits ändert es nichts an der Geschichte und Interessierte an dem Thema werden auf dieses Buch aufmerksam. Die Selbstverständlichkeit, mit der Måns als das beschrieben wird, was er ist, nämlich ein Junge, ohne vorher seine Vergangenheit zu erläutern, lässt sein Leben herrlich normal wirken. Das Einzige, was bei seiner Identität stört, sind die anderen. Der Roman macht einfühlsam deutlich, wer oder was eigentlich das Problem bei der Sache ist: Nicht man selbst, aber die anderen, die Gesellschaft und die veralteten Rollenbilder. Eine Geschichte mit vielen tollen Figuren, die peinliche, aber liebevolle Mutter, die etwas seltsame, aber schlaue Nora mit ihren Ticks, der Vater, der dazu lernt und natürlich Mikkel und Måns, die eine Freundschaft führen, die auf viel Vertrauen beruht. 

Raphaela Brosseron

Emily Seymor – Totenbeschwörung für Anfänger

Emily Seymor - Totenbeschwörung für Anfänger
Jennifer Alice Jager
Ravensburger
Verlagsempfehlung ab 12 Jahre
Emily Seymour ist nicht wie alle anderen, denn ihre Familie steht quasi nur aus Nekromanten, aus Totenbeschwörern. Nur Emily scheint diese Gabe nicht geerbt zu haben, sodass sie innerhalb der Familie auch nicht recht dazu gehören mag. Als der Sohn der verfeindeten Nekromantie-Dynastie der Goodwins auftaucht, um die Fehde zwischen den Familien endgültig zu beenden, findet Emily sofort Gefallen an ihm. Doch anstatt den Frieden zu besiegeln, stirbt Ashton. Ausgerechnet Emily soll die Schuldige sein. Bei ihrer Suche nach einer Lösung findet sie allerdings viele weitere Probleme, die ihre Familiengeschichte für immer ändern werden.
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Angelehnt an die Bezeichnung “Romantasy”, geht es hier zum einen um die romantische Beziehung, die sich zunächst zwischen Emily und Ashton anbahnt, zum anderen um die Fantasy-Welt, in der die beiden leben. In dieser existieren nicht nur Nekromanten, sondern auch weitere Wesen voller Magie und man kann durch Raum und Zeit reisen.
Die Fantasie, die bei der Kreation dieser erzählten Welt erforderlich war, muss grenzenlos sein, jedoch ist es eigentlich zu viel. Die Wesen werden eingeworfen, ohne sonderlich viel beizutragen, manche Elemente heben sich eher auf, statt sich zu ergänzen und machen den Plot unübersichtlich und unwahrscheinlicher. Bei Fantasy lauert oft die Gefahr, sich einfach das nächste magische Element auszudenken.

Auch andere Teile der Erzählung wirken zu einfach. So findet Emily sehr viel durch Tagebucheinträge ihres Großvaters heraus - diese muss sie natürlich nicht lange suchen und liefern direkte Antworten. 
Die Liebesgeschichte könnte man vielleicht gerade als Teenager als ganz süß empfinden, sonderlich vorbildlich ist Emilys Anziehung zu dem ablehnenden Ashton jedoch nicht. Auch dass sie so viel aufgibt, um ihn zu retten, spricht zwar für sie, sorgt allerdings für wenig Ausgeglichenheit zwischen den beiden.

Eine theoretisch spannende Welt, irgendwo zwischen Addams Family und Rubinrot von Kerstin Gier, leider fehlt es zu sehr an einer gewissen Erzähllogik. Wer viel Fantasy auf einmal braucht und davon nicht genug bekommt, wird sicher Gefallen an dem Buch finden.

Raphaela Brosseron

Die Einsamkeit der Astronauten

Die Einsamkeit der Astronauten
Stefan Beuse
Hanser
Verlagsempfehlung ab 14 Jahre
Mit 15 das Gefühl zu haben, nicht dazu zu gehören, ist vielleicht gar nicht so abwegig. Doch bei Jonah ist es mehr als das. Während die CoffeeCompany der Siedlung eine LoveCulture predigt, erfährt er wenig Liebe. Weder von seinen Eltern noch von seinen Mitschülern. Das ändert sich, als Lia in seine Klasse kommt und sich neben ihn setzt. Nicht nur seine Gefühle sind anders, seine Wahrnehmung der Siedlung passt sich an, Lia stellt nämlich Fragen: Zu dem “Kaffee”, den alle trinken, den Pillen, die jeder bekommt, den Bildschirmen mit persönlichen Nachrichten. Was, wenn nicht er der war, der nicht gepasst hat, sondern alle so manipuliert wurden, nichts mehr zu hinterfragen?
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Gerade als er endlich einer Antwort auf sein Leben so nahesteht, verschwindet Lia und er muss sich vielen neuen Fragen stellen.
Ziemlich rasant entwickelt sich die Geschichte von einer gesellschaftskritischen Dystopie in einen wirren Traum, der die Grenzen von Wahrheit und Lüge verschwimmen lässt. Beim Lesen kann man sich bis zuletzt nicht sicher sein, ob Jonah einfach nur verrückt ist, oder da wirklich was im Hintergrund läuft. Allein dadurch wird man auf nur 224 Seiten selber zum Teil dieses Systems aus Lügen, Geschichten und Wahrheit und stellt fest, dass man vielleicht doch manchmal die Perspektive eines Astronauten aus der Ferne braucht, um klar zu sehen. 

Dieses Buch ist ein gelungener Mix aus dem Erzählen vom Fremd sein, jugendlichen Leichtsinn, Liebe, Freundschaft, aber auch Mut und Rebellion. Tatsächlich wurde der Autor durch einen Traum inspiriert, was sich in der kreativen Gestaltung seiner gesellschaftskritischen Erzählung widerspiegelt. 

Raphaela Brosseron

Toffee – Wie Glücklichsein von außen aussieht

Toffee - Wie Glücklichsein von außen aussieht
Sarah Crossan
Hanser
Verlagsempfehlung ab 14 Jahre
Ausgezeichnet mit dem LUCHS im Januar 2023
Buch des Monats März 2023
Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2024
Auf den ersten Blick haben die ältere und demente Marla und die 15-Jährige Allison wenig gemeinsam. Doch eigentlich tun beide sich mit ihren Erinnerungen schwer, vor allem mit den schlimmen. 
Allison weiß, dass die Erlebnisse zuhause mit ihrem Vater eigentlich niemand durchmachen sollte, weswegen sie vor ihm flüchtet. Sie hat aber trotzdem Probleme, alles richtig einzuordnen. Erst als sie Marla, die ihre Erinnerungen nur manchmal parat hat, trifft, gibt sie eine Antwort auf die Frage nach der Wunde auf ihrer Wange. 
Ohne zu wissen, wohin sie nun soll, landet Allison zufällig bei der Seniorin.
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 Diese merkt gar nicht, wie sich Allison langsam in ihrem Haus einnistet und ihre Anwesenheit stört sie nur an schlechten Tagen. Wenn es gut läuft, hält Marla sie für Toffee, diese Rolle nimmt Allison gerne an und es entsteht eine Art Freundschaft, die beiden ergänzen und unterstützen sich auf eine ganz einzigartige Weise. 
Genauso einzigartig wie der Inhalt, ist auch die sprachliche Gestaltung. In  Versen wie in einem Gedicht, das sich nicht reimt, wird viel gesagt, über den gewalttätigen Vater, die schwere Jugend und Marlas fehlende Erinnerung. Die kurzen Sätze passen perfekt zu Allison und ihrem inneren Durcheinander, aber auch zu Marla und ihrer einfachen Art, die Welt zu sehen.
Die sprachliche Gestaltung wirkt erst ungewohnt, macht den Inhalt aber leicht verständlich und man liest sich schnell durch eine schöne Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, die sich aus mehr als unschönen Umständen ergibt.

Raphaela Brosseron

Mit einer schweren Brandverletzung flieht Allison vor ihrem gewalttätigen Vater. Nach einer Nacht in einem Gartenhaus geht sie in Marlas Haus und die demente alte Frau hält sie für ihre Jugendfreundin Toffee, so kann sie dort ohne große Probleme wohnen. Es ist nicht immer einfach für die Jugendliche sich auf die alte Frau einzustellen, doch es entwickelt sich eine vertrauensvolle Freundschaft. Wir erfahren immer mehr  aus Allisons Leben, das sicher keine einfaches war. Und ausgerechnet Marla, die sie oft nicht erkennt oder sie eben für Toffee hält, gibt ihr Selbstvertrauen. Allison kümmert sich um die alte Frau und verhilft ihr zu fröhlichen Momenten, die in letzter Zeit für sie auch rar waren. Zusammen tanzen die beiden und haben dabei viel Spaß.
Nach und nach erfahren wir wie Allison immer wieder versucht ihrem Vater zu gefallen und eine gute Tochter zu sein, leider ohne Erfolg. So ist ihre Flucht gut zu verstehen, obwohl die Entscheidung nicht einfach war. 
Die Geschichte wird in ganz kurzen, manchmal nur einen Satz lagen Kapiteln erzählt. Kurze Sätze, wie ein Gedicht, geschrieben lassen sich leicht lesen und doch sagen sie so viel aus und können Allisons Gefühle so gut nachempfinden. Eine besonderes Buch, hervorragende Erzählkunst.

Dagmar Mägdefrau

Dead Water High – Den Tod im Team

Dead Water High - Den Tod im Team
Jessica Goodman
magellan
Verlagsempfehlung ab 14 Jahre
Nachdem Stella Steckler eher unfreiwillig den Sommer in Breakbridge verbracht hat, einem Trainingslager für “schwierige” Jugendliche, kehrt sie zurück nach Edgewater. Die Probleme, die sie in ihrem Heimatort hat, lassen sich allerdings nicht durch ein Ferienlager lösen. Die Beziehung zu ihrer jüngeren Schwester ist komplizierter denn je zuvor, in ihrem Elternhaus könnte jeden Moment alles zerbrechen und in der Schule hat sie sowieso den Status einer irren Außenseiterin - vor allem nach den letzten Vorfällen. Nur das Laufen gibt ihr das Gefühl von Freiheit, allerdings wurde diese den Läuferinnen der Stadt schon mal genommen, als drei Mitglieder des Crossteams nacheinander Opfer gewaltsamer Morde geworden sind und die Mädchen der Stadt lange nicht raus durften.
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Als Mila als neuer Superstar am Crosslauf Himmel an die Schule kommt, freunden sich sowohl Stella als ihre kleine Schwester mit ihr irgendwie an, als sie verschwindet, wird schnell vor allem Stella nachgesagt, etwas damit zu tun zu haben. Die Angst ist gegenwärtig, ist der Mörder von damals zurückgekehrt, wird aus Edge Water wieder Death Water? Oder hat tatsächlich Stella etwas damit zu tun? 

Obwohl hier die Morde der Vergangenheit eine tragende Rolle spielen, geht es weniger um stumpfe Gewalt als um psychologischen Prozesse. Die allgemeine Angst in der Stadt, die Bedeutung von Freiheit und Freundschaft. Durch die abwechselnde Erzählperspektive der Schwestern, kriegt man doppelten Einblick und beide Figuren schaffen es trotz Ich-Erzählung den Lesenden nicht alles zu verraten, was die Spannung steigen lässt. Wer schon einige Thriller gelesen hat, kriegt eventuell sehr früh eine Ahnung, wer da etwas zu verbergen hat. Die Auflösung am Ende ist weniger fein, etwas zu plump werden die feingelegten Spuren zusammengeführt. Die Message am Ende ist, ganz unabhängig vom Genre “Thriller”, vor allem an weibliche Jugendliche gerichtet und ein sinnvollerer Abschluss. Die Dynamik der Schwestern trägt wesentlich mehr zur Spannung bei als der eigentliche Fall. Insgesamt ist der Thriller für ein jüngeres Publikum ab 14 insofern geeignet, dass auch alltägliche Probleme angesprochen werden und er ohne zu detaillierte Gewalt auskommt.

Raphaela Brosseron

The Lost Crown – Wer die Nacht malt

The Lost Crown - Wer die Nacht malt
Jennifer Benkau
Ravensburger
Verlagsempfehlung für junge Erwachsene
Sie malt auf seiner Haut, er eröffnet ihr eine andere (spannende) Welt.
Um die Geschichte von Kaya zu verstehen, muss man 18 Jahre zuvor einsetzen, bei einem Fest im Aquamarinschloss von Eshrian. Mirulay ist 8 Jahre alt, als alles zu Grunde geht und er der letzte Sarev wird, sein auf Rache gesinnter Onkel weiß allerding auch seine Zukunft zu erschweren.
In der Gegenwart ist Kaya 17 Jahre alt und wohnt in einem Dorf in Amisa. Sie ist mit ihrem Freund Nevan auf Reisen durch Eshrian. Diese Reise nimmt einen ganz anderen Verlauf und Kaya wird mit vielen Geheimnissen und magischen Gegebenheiten konfrontiert, das liegt vor allem an ihrer eigenen Magie: sie malt Runen, die jeweils eine bestimmte Wirkung haben.
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Und diese setzt sie ein, als sie gezwungen wird, den unnahbaren Mirulay zu retten…
Ein spannender Roman, der dem Genre “Romantasy” sehr gerecht wird. Das Reich von Eshrian von Kaya wird sehr lebendig beschrieben, zusätzlich hilft eine Karte, die dem Buch innewohnt, der Orientierung. Die Magie, die Kaya in ihrer Heimat zum Außenseiter macht, die Gefahr, die den Königreichen droht und der Einblick in Mirulays tragische Vergangenheit bieten bereits genug hin und her, doch zusätzlich muss Kaya wie alle anderen 17-Jährige mit verwirrenden Gefühlen kämpfen. Trotz der sehr menschlichen Themen wie Freundschaft, Liebe und Verrat kommt die bunte Magie nicht zu kurz, sodass man komplett in diese Welt eintauchen kann und nach dem Lesen die Fortsetzung sofort bestellen möchte.

Raphaela Brossseron

Man vergisst nicht, wie man schwimmt

Man vergisst nicht, wie man schwimmt
Christian Huber
dtv
Verlagsempfehlung ab Klasse 9 bis 10
Sommerluft, Nokias, Freibad, Gameboys und Polaroid Kameras, die damals noch nicht so retro waren wie heute. So fühlte sich ein Sommer der 90er Jahre wohl an, hier für Pascal ganz explizit der 31. August 1999, „ein Tag, wie ein Leben.” Egal ob man selber die Zeit erlebt hat oder nicht, man wird durch die Erinnerungen des Ich-Erzählers Pascal zurückkatapultiert und erlebt einen heißen Sommertag Ende der 90er, auch wenn man vielleicht gerade an einem Wintertag in 2022 anfängt zu lesen. 
Pascal ist 15 und hätte diesen Tag fast nicht erlebt, denn eigentlich hat nur sein Kumpel Victor ihn überredet rauszugehen.
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Fast hätte er nicht Jackie, das Zirkusmädchen, bei Müllers zum ersten Mal gesehen, sie nicht einige Male wiedergefunden, nicht über Freundschaft, Liebe, das Leben und den Tod an einem Tag so viel gelernt, wie andere nicht in ihrem ganzen Leben. 
Vor allem lernt er, sich nicht mehr selbst im Weg zu stehen. Denn eigentlich hat er ein Geheimnis, aufgrund dessen er sich verbietet, sich  zu verlieben. Oder zu schwimmen. Lieber flüchtet er sich in Geschichten, die er in seinem wohlbehüteten Notizbuch festhält, die wir auch zu lesen bekommen und die nochmal einen ganz anderen Einblick in seine Gedanken ermöglichen. 

Humor schwingt mit, jedoch nur nebenbei, wer bei Christian Huber nur Pointen erwartet, wird enttäuscht. Alleine vom Klappentext her, könnte man bei der Handlung noch mehr Drama, noch mehr Spannung erhoffen, jedoch ist es nun mal kein Krimi, sondern ein Roman.

Raphaela Brosseron

Auf den fast 400 Seiten erzählen Pascal, den alle Krüger nennen, vom 31.8.1999. Dass das mein 44 Geburtstag ist kommt ihn dem Buch nicht vor, aber es zeigt, dass ich die Zeit, entgegen der meisten anderen Leser*innen kenne. Für mich war vieles ein Wiedertreffen, keine Museumsbesuch. Aber auch 1999 waren die Gefühle eines 15-Jährigen nicht einfach.
Eigentlich wollte Pascal gar nicht aufstehen, den Tag im Bett verbringen, den letzten Sommertag des Jahres. In dem kleinen bayrischen Ort ist ehe nichts los. Aber Viktor sein langjähriger Freund holt ihn ab und so erleben die beiden einen ungewöhnlichen Tag. Erst Playstation spielen bei Müller, dann taucht dort Jacky, das rothaarige Zirkusmädchen auf. Sie zeigt den Jungen den Zirkus und das Messerwerfen. Später ziehen alles drei los, ihr Ziel ist eine angesagte Party, für die sie keine Einladung haben.

Der erste Teil des zog sich ziemlich in die Länge und ich glaube, dass einige Leser*innen sicher aufgeben werden. Am Ende nimmt das Buch sehr an Fahrt auf und es wird richtig spannend. Aber man muss schon Geduld haben, wenn man wissen will, warum Pascal sich nicht verlieben will und warum er nicht mehr schwimmen will. Allerdings ahnt man es schon recht früh, ich wollte aber wissen, wie es genau war, damals mit Krüger.

Dagmar Mägdefrau

Feuerwanzen lügen nicht

Feuerwanzen lügen nicht
Stefanie Höfler
BELTZ & Gelberg
Verlagsempfehlung ab 11 Jahre
Nominiert für den Jugendliteraturpreis 2023
Wie viele Lügen können eine Freundschaft ertragen?
Mischa und Nits ergänzen sich perfekt, Mischa, der adrette und ordentliche Streber und der hibbelige Nits, der immer einen Reim parat hat. Nach und nach merkt Nits, dass die ehrliche Basis der Freundschaft vielleicht gar nicht so stabil ist.
Als Mischa zum ersten Mal lügt, fängt Nits an zu zweifeln, aber auch Dinge zu sehen, die er vorher nicht gesehen hat. Warum war er eigentlich nie bei ihm? Warum trägt er seit Jahren die gleiche Jogginghose? Als der Blick auf die Freundschaft klarer wird, werden die Zweifel größer.
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Nits steht vor der großen Aufgabe, über den Vertrauensbruch hinweg zu sehen, um der Freund zu sein, den Mischa eigentlich immer gebraucht hätte, ohne Geheimnisse.
Durch Nits Erzählung bekommen wir eine kindgerechte Perspektive von außen auf das Leben im sozialen Brennpunkt. Wie er, kriegt man beim Lesen Stück für Stück eine Ahnung davon, was Mischa die letzten Jahre mitmachen musste. Neben den Geldsorgen sind das vor allem die Scham und die Anstrengung der Lügen, um das falsche Bild zu wahren. Trotz allem kommen die schönen und die lustigen Momente nicht zu kurz, Nits Reime sind dabei ein wenig gewöhnungsbedürftig, Mischas Tierfakten dafür umso erleichternder.

Ein schönes Buch über Freundschaft, Täuschung und Enttäuschung, finanzielle und familiäre Probleme, und wie schön das Leben trotzdem sein kann.

Raphaela Brosseron

Nits, das ist die Abkürzung seinen komplizierten indischen Vornamens, wohn mit seinem großen Bruder und seinen Eltern in einem Eigenheim und die beiden Jungen verfügen über ein großzügiges Taschengeld. Seit der Grundschuldzeit ist er mit Mischa befreundet. Mischa, der im Gegensatz zu dem wibbeligen Nits, nicht nur korrekt gekleidet ist, der auch in sich zu ruhen scheint. 
Doch dann fallen Nits Lügen auf, die sein bislang ehrlich erscheinender Freund, erzählt. Dadurch entsteht Misstrauen und als Nits seinen Freund in die Enge treibt, erfährt er die ganze traurige Wahrheit. Mischa schämt sich für seinen Vater, seine nicht vorhandene Mutter und für die Geldnöte, die die kleine Familie ständig begleitet. 
Erstaunlich, wie Mischa es über Jahre geschafft hat, die kaputte Jacke und den fadenscheinigen Rucksack als Kult zu verkaufen, sich ungesehen in die Tafel zu schleichen und die Geschichten über seine Mutter glaubhaft weiterzuerzählen.

Zum Glück ist die Freundschaft der Jungen so stark, dass sie all die Lügen und peinlichen Situationen übersteht. Eine einfühlsam erzählte Geschichte, die uns gut situierten Menschen zeigt, dass es Armut auch in unserer Gesellschaft gibt.

Dagmar Mägdefrau

Letztendlich waren wir auch nur verliebt

Letztendlich waren wir auch nur verliebt
William Hussey
dtv
Verlagsempfehlung ab 14 Jahre
Was bleibt von der Liebe übrig, wenn der andere geht?
Dylan bleibt nicht mehr viel, außer Wut, ganz viele Fragen und eine unendliche Leere, denn Ellis ist nicht einfach “irgendwo hingegangen”, er starb bei einem Autounfall nach dem Osterball, der ihr erster gemeinsamer offizieller Auftritt war. Nach der Veröffentlichung eines Videos der beiden, blieb ihnen keine andere Wahl. Zu dem Unbekannten, der sie heimlich gefilmt hat, gesellt sich nun ein unbekannter Retter, dem Dylan alles andere als dankbar ist, hätte er Ellis doch genau so retten können. 
Er schwört sich, herauszufinden, wer dafür verantwortlich ist, dass die bereits geplante Zukunft der beiden so nicht stattfindet. 
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So gerät er in einen Strudel von dunklen Geheimnissen und lernt schnell, dass es nicht immer nur eine Wahrheit gibt und ihrer Liebe mehr im Weg stand, als er annehmen konnte.
Wir tauchen in die Geschichte der beiden ein, als ihr größtes Problem noch das Outing vor allen anderen war. Dylan setzt als Erzähler vor dem Unfall ein, wir sind bei seinem hoffnungslosen Kampf und beim Aufwachen dabei, wenn er realisiert, dass seine große Liebe tot ist und der Schmerz, den er verspürt, geht über gedruckte Seiten hinaus. Durch Rückblicke wird klar, wie verliebt er, aber auch Ellis waren, jedoch wird genauso deutlich, dass nicht immer alles so einfach war. Die einzige Stütze, die Dylan bleibt, ist sein krebskranker Freund Mike, gemeinsam stellen sie sich der Suche und den heuchlerischen Mitschülern, von denen genug als Verdächtige in Frage kommen. So emotional und mitreißend, dass man sich nach jedem Kapitel denkt “Eins geht noch”, denn die Spannung ist kaum auszuhalten. Zwischendurch hat man Zweifel, dass Dylan die Wahrheit herausfindet, bzw. dass die Geschichte logisch aufgelöst wird. Doch tragischerweise ergibt am Ende alles Sinn. 

Es hätte nicht nur eine große Liebesgeschichte sein sollen, es war eine, jedoch eine viel zu kurze, die einen nachdenklich, traurig, aber auch glücklich über diese kurzweilige Verliebtheit zurücklässt.

Raphaela Brosseron

Taras Augen

Taras Augen
Katharina Bendixen
Mixtvision
Verlagsempfehlung ab 14 Jahre
Nach einem verheerenden Chemieunfall in der Factory 11 flüchten die Menschen aus dem Campus District nach Tonfato, um dort ein neues Leben anzufangen. Einige kehren jedoch in die gefährliche Zone zurück, sie wollen ihr altes Leben nicht einfach aufgeben. Zu ihnen gehört auch Taras Familie. Tara und Alùn sind 15 und eigentlich seit ihrer Kindheit befreundet und vielleicht sogar verliebt, doch seit kurzem zerstritten. Da Alùns Familie nicht zu den Rückkehrern gehört, kommt jetzt noch die räumliche Trennung hinzu. Alùn kann jedoch nicht aufhören an seine Tarita zu denken und malt weiterhin ihre Augen, was noch zu einer großen, aber auch gefährlichen romantischen Geste wird.
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Ähnlich wie bei dem wunderschönen Buchschnitt, ist bald die ganze Stadt voll mit Taras Augen.  Tara lernt eine neue Bezugsperson kennen und versucht, Alùn zu vergessen, doch das ist in diesen schwierigen Zeiten gar nicht so leicht, vor allem wenn sie weiterhin neben seinem alten Zuhause wohnt. Die Grundlage einer Umweltkatastrophe mit zerstörerischem Charakter, die die Menschen in zwei teilt, klingt interessant und dramatisch, wer mit entsprechenden Erwartungen anfängt zu lesen, könnte jedoch enttäuscht werden. Zwar ist der Unfall in der Fabrik die ganze Zeit präsent und die Folgen haben auch gesundheitliche Folgen für die Protagonisten, aber irgendwie wird einem die Tragweite nicht so deutlich. So wird man zwar gefordert, sich selbst Gedanken zu solchen Szenarien zu machen, der Spannungseffekt kommt jedoch etwas zu kurz. Auch die dystopische Welt, die Bendixen erschaffen hat, ist in der Theorie faszinierend, innerhalb der Geschichte wirkt sie jedoch leider etwas gewollt. Man kommt schnell durcheinander, Begriffe, die sonst keinen Mehrwert haben, werden einfach eingeworfen und man verliert schnell den Überblick. Im Vordergrund steht eher die Liebesgeschichte der Protagonist*innen, die nunmal einfach verliebte Teenager sind. Ein gut gelungener Plot Twist rettet die Spannung und hat mich nochmal an die Seiten gefesselt. Wer eine gut durchdachte alternative Realität erwartet, wird enttäuscht. Der Titel “Taras Augen” verrät allerdings schon, dass das Hauptaugenmerk auf einer Beziehung liegt. Alles andere ist nur drumherum, weswegen die genannten Abstriche in Ordnung sind. Sehr schön ist allerdings das Glossar am Ende sowie die Karte der Ortschaft. Interessierte Leser*innen können sich so doch noch einen Überblick über die Begriffe verschaffen.

Insgesamt eine nicht langweilige, aber auch nicht hochspannende Geschichte von zwei Jugendlichen und ihrer Beziehung und Schwierigkeiten, die in einer dystopischen Umwelt leben.

Raphaela Brosseron

Total irre

Total irre
Jutta Nymphius
Tulipan
Verlagsempfehlung ab 11 Jahre
„Fun und Facts“ heißt die Zeitschrift, die Karli vom Nachtisch seiner Mutter mops und jedes Kapitel beginn mit einem Artikel daraus. Wir erfahren einiges über Tiere und können einen Bezug zum folgenden Kapitel nicht ziehen. 
Karlis Familie ist schon besonders. Sein schlanker Vater sitzt im Rollstuhl und seine übergewichtige Mutter, die ständig Haferkekse isst, versucht ihm mit immer neuen Erfindungen, die meist nicht funktionieren, das Leben zu erleichtern. Dabei spürt man die Liebe der Eltern, die ihren Spaß dabei haben. Karlis Patenonkel Holger, fühlt sich als Frau wohler, trägt entsprechende Glitzerkleidung und lässt sich mit Frauennamen ansprechen, was Karli aber ignoriert.
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Diese Familie möchte er nicht beim Schulfest dabeihaben. Das wird nur peinlich, das weiß er schon und so lässt er die Einladung verschwinden. Wie schön wäre es eine perfekte Familie wie sein Freund Robin zu haben? Er selbst ist auch immer so selbstbewusst und weiß, was er will. Noch mehr Verwirrung entsteht durch ein gehörloses hübsches Mädchen.
Die Geschichte wird aus Sicht des Jungen erzählt und obwohl die skurrilen Situationen schon zum Lachen reizen, kann ich seinen Frust gut verstehen. Als wäre die Pubertät an sich nicht schon schrecklich, da gerät Karli ständig in neue unangenehme Situationen. Er schämt sich für seine Familie, die ja auch schon sehr besonders ist. Aber als es drauf ankommt ist Verlass auf Karli, da ist er ein guter Freund und unterstützt Robin nach Kräften.

Das Buch hat einfach alles, was ein Buch für diese Altersgruppe braucht. Humor, Verständnis ohne Heuchelei und ein liebe- und hoffnungsvolles Ende. Ich habe es mit viel Freude gelesen und vieles war mir nicht fremd.

Dagmar Mägdefrau

Fünfzehn Tage sind für immer

Fünfzehn Tage sind für immer
Vitor Martins
one
Verlagsempfehlung ab 14 Jahre
15 Tage Ferien sehen beim 17-jährigen Felipe wie folgt aus: Netflix, Kuchensamstag, Musical-Mittwoch und Zeit mit seiner Mãe. Das alles zuhause, wo keiner ihn und seine Körpermasse verurteilen kann. Vor Caio, den Nachbarsjungen, den er seit einer Weile anhimmelt, kann er sich nicht mehr verstecken, denn mit Ferienbeginn soll ausgerechnet er 15 Tage bei ihnen verbringen. So hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt, doch Caio lebt sich schnell bei ihm und seiner herzlichen Mutter ein und Felipe lernt nicht nur aus der Komfortzone herauszukommen. 
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Die Beschreibung “Own-Voice” bedeutet, dass der Autor dem Text seine eigene Stimme verleiht, also eigene Erfahrungen einbringt, häufig bei sensiblen Themen und Diversität. Das heißt nicht, dass Vitor Martins hier seine Geschichte niedergeschrieben hat, jedoch leiht er seine Stimme jemandem, der vielleicht in einer ähnlichen Situation ist wie Felipe oder Caio. Beim Lesen erkennt man den Unterschied zur einfachen Ich-Perspektive, denn die ist hier tiefer, emotionaler und vor allem authentisch. Felipes Unsicherheit wird bei jedem seiner Gedankenkarussells, seinen ausgetüftelten Horrorszenarien und den direkten Fragen an die Lesenden („Wisst ihr, was ich meine? Ist auch egal.”) mehr als offensichtlich, genau wie seine Verknalltheit in Caio. Obwohl der Plot eben um diese gestrickt ist, macht Felipe eine tolle Entwicklung unabhängig von seinem Beziehungsstatus durch. Was Felipe nur in indirekter Form im “Zauberer von Oz” gefunden hat, schafft der Autor durch diesen Young Adult Roman: Ein Buch mit Botschaft, das denen, die sich sonst nicht repräsentiert fühlen, Mut verleiht, sie selbst zu sein. Wie nebenbei darf man sich außerdem über eine niedliche Verliebtheit, lustige Protagonisten, ganz viel Herz und jede Menge Filmtipps von Felipe höchstpersönlich freuen, auch wenn er in den 15 Tagen deutlich weniger zum Verweilen auf Netflix kam. Ohne schmerzliche Stellen kommt so ein persönlicher Roman nicht aus, weswegen es auf Seite 286 eine Triggerwarnung dazu gibt. 

Raphaela Brosseron

Skellig

Skellig
David Almond
Freies Geistesleben
Verlagsempfehlung ab 11 Jahre
Im Mittelpunkt der bereits 1998 veröffentlichten Geschichte steht Michael, der verschiedene Schwierigkeiten durchmacht. Alleine ein Umzug kann für Kinder schon stressig genug sein, dass es sich dabei auch noch um ein gruseliges altes Haus handelt, schafft die perfekte Grundlage für eine mysteriöse Story. Da seine Mutter sich um die zu früh geborene kleine Schwester kümmern muss, erkundet Michael alleine die Gegend. Lange bleibt er nicht auf sich gestellt, denn er lernt das Mädchen Mina kennen.
Dann dieses seltsame Wesen in der Garage, das noch viel mehr Fragen aufwirft, als Michael sowieso bereits im Kopf rumschwirren.
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Eine ganz besondere Geschichte, die sehr gut gealtert ist, in der Umgebung des alten Hauses fällt es kaum auf, dass sie vor über 20 Jahren verfasst wurde. Die mystischen Einflüsse sind wie bei “Bone Music” sehr subtil und verleihen dem Plot eine realistische Basis mit traumhaften Elementen. Für Leser*innen, die sonst nicht so gerne Fantasy lesen, aber auch etwas mehr als die pure Realität brauchen, wird hier genau die richtige Mischung präsentiert. Die Sprache ist tiefgehend, mal eben lesen und verstehen ist nicht unbedingt drin, es werden Fragen aufgeworfen und nicht eindeutig beantwortet werden. So bekommt man allerdings vermutlich den besten Eindruck von Michaels Gefühlslage, denn auch er muss sich angesichts der familiären Probleme und des seltsamen Wesens einige Fragen des Lebens selbst oder vielleicht auch gar nicht beantworten. Wirklich berührend, nachdenklich stimmend und unterhaltend kommt dieses Buch ohne erzwungene Liebesgeschichte aus und legt damit den Fokus auf viele andere wichtige Themen.

Raphaela Brosseron

Bone Music

Bone Music
David Almond
Freies Geistesleben
Verlagsempfehlung ab 14 Jahre
Sylvias Mum ist ganz begeistert von der Urlaubsplanung: raus aus der Stadt, rein in die Natur von Northumberland. So ganz nebenbei kann sie sich dann Gedanken über ihre Ehe machen. Ohne Handyempfang bleibt der 15-Jährigen Sylvia nichts anderes übrig, als die Natur zu erkunden. Dabei macht sie einige mystische Entdeckungen, vor allem mit ihren Ohren. 
Alleine bleibt sie bei der Entdeckung ihrer Verbundenheit mit der Natur nicht, denn sie lernt einen Jungen kennen, der ganz altertümlich eine Knochenflöte spielt. 
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Es ist schwer zu greifen, was genau die Handlung ist. Es geht vielmehr um das Wahrnehmen, das in-sich-kehren, ohne Ablenkung sein und die Erkundung der Vergangenheit. Für Jugendliche ist es vielleicht nicht ganz so leicht dranzubleiben, wenn nichts Einschlägiges passiert. Dafür ist der deskriptive Schreibstil sehr fesselnd und das Cover ergänzt die Vorstellung von Sylvia, der Musik und der Natur perfekt. Es ist gar nicht so leicht, Gefühle und Empfindungen, die von Klängen verursacht werden, in einem Buch einzufangen, als Hörspiel stelle ich es mir gerade an einem verregneten Tag jedoch wirklich stimmungsvoll vor.  Zum Lesen muss man sich definitiv erst mal drauf einlassen, aber auch dann kann es bestimmt ein magisches (Lese-)Erlebnis werden. 

Raphaela Brosseron

Wir – Die süßen Schlampen

Wir - Die süßen Schlampen
Zoran Drvenkar
BELTZ & Gelberg
Verlagsempfehlung ab 16 Jahre
Wir - das sind Stinke, Schnappi, Taja, Rute und Nessi. Sie leben dieses „Wir“, wie es nicht viele Freundschaften tun, sodass es sofort auffällt, als sich Taja eine Woche lang nicht meldet. 
Die Suche bringt sehr viel ans Licht, womit weder die Mädchen noch die Lesenden rechnen können und schnell verwickeln sich alle fünf in ein gefährliches Abenteuer. Taff, selbstbewusst, mutig und schlagfertig, wie sie sind, wäre für dieses vermutlich niemand besser geeignet.
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In einem sehr schönen Nachwort erklärt der Autor, dass die Mädchengruppe mehr Raum verdient haben, als sie es Jahre zuvor in seinem Thriller „Du“ bekommen haben. In ihrem eigenen Roman wird deutlich, dass er eine ganz besondere Beziehung zu ihnen hat. Auch andere Figuren kommen vor und erzählen. Zunächst weiß man nicht, wie die Zusammenhänge sind, doch am Ende ergibt alles Sinn. Im Fokus bleiben die fünf Mädchen, da kommt kein männliches Wesen zwischen oder muss sie retten ganz im Gegenteil. Sonderlich vorbildhaft sind sie dabei natürlich nicht, vor allem im Verhalten gegenüber der Polizei, den Anspruch darf man hier nicht haben.

Der Spannungsverlauf ist weniger ein Bogen als eine Zickzacklinie, wenn man sich fragt, was noch kommen soll, kommt tatsächlich noch etwas, ohne jedoch zu übertreiben. Das Buch ist gar nicht mehr aus der Hand zu legen, die Frage, die sich seit dem Klappentext stellt, ist zu präsent: Kann ihnen wirklich niemand was tun? Man sollte beim Lesen Zeit einplanen, denn eine Lesepause ist keine Option.

Raphaela Brosseron

Dann geh doch die Welt retten

Dann geh doch die Welt retten
Inéz Maria Jiménez
Carlsen Clips
Verlagsempfehlung ab 13 Jahre
Die fünfzehnjährige Sofie sieht ein Video, in dem eine Schweintransporter einen Unfall hat. Das nimmt sie derart mit, dass zukünftig auf Fleisch verzichten möchte. In ihrer Familie stößt sie da auf wenig Verständnis und auch ihre Freunde reiben sich immer mehr daran, dass Sofie bei vielem fragt, was das mit der Umwelt tut. So hat sie eine Mitschülerin verärgert, weil sie ihr vorwarf in Billigläden zu kaufen. Da sie mit ihre verständlichen Vorwürfen nicht sehr diplomatisch vorbringt, ist schnell die ganze Klasse gegen sie und sie verliert sogar ihre beste Freundin Olivia.
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„Öko-Schlampe“ nennt sie ausgerecht Marc, in den sie etwas verliebt ist. 
Als der Klassenlehrer den Klimawandel zum Thema macht, erarbeitet Sofie ein fundiertes Referat, doch die Klasse glaubt nicht an die von ihr vorgebrachten Fakten. Sie wollen sich nicht einschränken und finden viele Argumente dagegen. So entschließt sich Sofie zum Streik und obwohl die Schulleitung den mit Hilfe ihrer Eltern beendet, wird eine Klima-AG ins Leben gerufen. Aber erst ein Unglück bringt die anderen zum Umdenken.

Klimaretter*innen scheinen trotz Greta immer noch allein zu stehen. Ganz schlimm wird es dann, wenn sie, wie Sofie, noch gemobbt werden. Das Buch wird mit viel Gefühl, aber auch klaren Fakten erzählt. Sicher werden die Leser*innen sich weiter informieren und ihre Haltung überdenken. Vielleicht sollten sie es aber auch ihren Eltern zum lesen geben, vielleicht wird dann doch die nächste Kreuzfahrt abgesagt.

Dagmar Mägdefrau

Schnabeltier Deluxe

Schnabeltier Deluxe
Sarah Jäger
Rowohlt
Verlagsempfehlung 14 Jahre
„Wenn ich schon an einem neuen Ort lebe, an dem mir 2098 der 3000 Menschen komplett fremd sind, dann kann ich mich wenigstens neu erfinden, denke ich mir”.
Ein Plan, den Kim schnell wieder verwirft, sie lässt die Haare zwar wachsen, aber eher aus Faulheit oder vielleicht, um den Jungen, der im Friseursalon arbeitet, zu meiden? Dieser lässt sich von ihrer Missmutigkeit bei der Arbeit an der Tankstelle nicht abschrecken und kommt immer wieder, jedes Mal mit Haarreif, Kleingeld für Erdnussschokoriegel und ganz vielen Fragezeichen.
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Eine Freundschaft oder was-auch-immer mit ganz eigener Dynamik entsteht. Manchmal kommt in Kim trotzdem das hoch, was sie überhaupt in dieses Dorf geführt hat: Die Wut. Sie kann sich beim listigen Busfahrer, der garstigen Tante und dem nervigen Jungen in der Schule einigermaßen zurückhalten, doch irgendwann platzt es aus ihr heraus, sehr zum Nachteil der neuen Freundschaft oder dem was-auch-immer mit Alex(andra) Sofie.
Kim ist ein sympathischer Charakter, auch wenn ihr Verhalten andere Bände spricht. Janne ist mit all seinen Fragezeichen und seinem ruhigen Gemüt ein wunderbarer Ausgleich und die beiden Teenager tun sich so gut, dass man es sogar durch gedruckte Seiten spürt. Auch Alex(andra Sofie) passt gut in das Gefüge, Sarah Jäger hat ihrer Figur einen genau richtigen Anteil an der Geschichte gegeben, allerdings wird dieser meiner Meinung nach im Klappentext überschätzt. Kim hatte es alles andere als leicht. Ein wenig verdrossen, aber eigentlich ziemlich gewitzt, konstatiert sie, was in ihrer Umwelt so los ist, für so eine robuste Schale, doch sehr feinfühlig. Janne ist einfach liebenswert, eher unabsichtlich lustig, aber auch mit Problemen des Erwachsenwerdens konfrontiert. Wer sagt, dass man sich dieser Phase des Lebens alleine stellen muss? Und wer sagt, dass man dafür in einer Beziehung sein muss? Und wer sagt, dass nur Schnabeltiere ein Mischwesen sein können?

Sarah Jäger hat eine ganz besondere Art, von Jugendlichen zu erzählen und ihre Perspektiven einzunehmen. Eine auffällige, aber nicht zu gewollte Ausdrucksweise macht auch ihren neuen Roman wieder poetisch, aber gleichzeitig so realistisch und nahbar. Gerne hätte ich mehr von den beiden (oder den dreien) gelesen, da ich das Ende allerdings besonders gelungen fand, verzeih ich dem Roman, dass es eins hat. 

Raphaela Brosseron

Die wütende Kim, die von der Schule fliegt und auch zu Hause viel Distanz zur Mutter braucht, weil beide der Nähe nicht trauen und sie nicht ertragen können. Am Anfang habe ich Kim wegen ihrer wütenden Aktion, die auch Kraft brauchen für einen Jungen gehalten. 
Um eine neue Schule für Kim zu finden, wendet sich die Mutter an einen Ex-Freund und so landet Kim in einem kleinen Dorf. Hier muss sich Kim zunächst mit dem Busfahrer und dann mit der grandigen Tante, deren Bastelzimmer sie bewohnt, auseinandersetzen. 
Um die von ihr verursachten Schäden zu bezahlen, sucht sich Kim einen Job in einer Tankstelle. Hier führt sie interessante Gespräche mit dem Friseursohn Janne, der keine geraden Ponys schneiden kann. Um auf Distanz zu bleiben, nennt sie die Verbindung „Bekanntschaft“. Janne ist ein fröhlicher junger Mann, der sich auch von Kims abweisenden Art nicht entmutigen lässt. Mit Alex(andra Sofie) taucht noch eine scheinbar angepasste junge Frau auf, die ebenfalls Gefühle auslöst. 
Kims vordergründiges Gefühl ist die (Zerstörungs-)Wut, doch je mehr man von ich erfahre umso mehr kann ich sie verstehen. Ihre Feinfühligkeit hat sie sehr tief unter ihrer rauen Schale versteckt und ich freue mich für sie, dass der Aufenthalt in diesem keinen Dorf und die Bekanntschaft mit Janne, dem Wut fremd zu sein scheint, ihr guttut. 

Sarah Jäger schafft es mit diesem Buch wieder mich in die Welt einer Jugendlichen zu entführen, die es mit ihrem Leben nicht einfach habt. Dazu benutzt sie ein Sprache, die in mir ein breites Spektrum an Gefühlen aufkommen lässt. 

Dagmar Mägdefrau

Vorbei ist eben nicht vorbei

Vorbei ist eben nicht vorbei
Kirsten Boie
Oetinger
Verlagsempfehlung ab 12 Jahre
1961, der Krieg ist vorbei, fast jeder hat jetzt einen Fernseher, das Leben in Deutschland ist unbeschwert, könnte man meinen. So auch die anfangs 13-jährige Karin, die das Verbot ihrer Wunschfrisur für das Schlimmste hält, zu dem ihre Eltern fähig sind. Im Austausch mit ihrer Freundin Regina hört sie zum ersten Mal, was im Krieg mit den Juden passiert ist. Angesprochen darauf reagiert ihre Mutter wütend und will keine Juden gekannt haben, Karin könne sich nicht vorstellen, wie das war. Aber wie kann es sein, dass es bei keinem der Erwachsenen Juden in der Gegend gab? Zumindest ihre Eltern lügen doch nicht!
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Lange kann sie das Vertrauen in ihre Eltern nicht wahren, denn manch Beweis lässt sich nicht durch Worte wegwischen. Und was man einmal weiß, weiß man. Die Flut, die über ihre Heimat einbricht, zerstört auch die letzte Leichthaftigkeit und Karin beginnt ein ernsthafter Teenager zu werden, der die Vergangenheit nicht loslassen kann, denn vorbei ist eben nicht vorbei. 

 Kirsten Boie holt die Lebensrealität Jugendlicher aus den 60er Jahren erfolgreich in die Gegenwart. Sie verleiht dem historischen Begriff “Nachkriegszeit” Merkmale, Gesichter und Emotionen, über die man sich zu wenige Gedanken macht. Wie ging es für die Leute nach dem Krieg weiter? Welche Schuld lastet auf wem und was erzählen diejenigen, die vor Jahren beim Tod von Kindern wegsahen, nun ihren eigenen? Die Autorin lässt ihre Figur unangenehme Fragen stellen, macht Geschichte zu etwas Greifbarem, das nicht nur als Wissen im Lehrbuch vermittelt wird und erinnert daran, dass man nie vergessen sollte, wozu Menschen fähig sind. Dabei bleibt sie dem Genre des Jugendromans stets gerecht, wobei sich dieser für jede Generation eignet, schließlich handelt der Roman von einem Generationenkonflikt.

Raphaela Brosseron

Karin wohnt mit ihren Eltern in einem Behelfsheim am Rande von Hamburg. Hier wohnen Flüchtlinge aus Pommern, junge Familien und alte SS-Soldaten zusammen, um die Häuser gibt es Gärten und am Rand verläuft der Deich. Für viele, die dort zu einem kleinen Wohlstand gekommen sind ein Paradies.
Da Karins Eltern einen Fernseher haben, kommen am Abend immer einige Nachbar zu ihnen und genießen die ersten Programme. Karin versucht immer wieder ihre Eltern zu überreden, dass sie endlich ihre Zöpfe abschneiden darf, aber für ihre Eltern ist sie mit 13 noch zu jung dazu.
Durch ihre Freundin und aufgrund der Fernsehnachrichten erfährt Karin vom Schicksal der Juden im 2. Weltkrieg. Sie fragt sich, warum die Menschen, die sie kennt, den Juden nicht geholfen haben. Doch auf konkrete Fragen an die Mutter, wird diese böse und behauptet, dass es bei ihnen keine Juden gab. Diese Antwort kenne ich auch von meiner Mutter.
Dann kommt die Sturmnacht 1961 und auch das kleine Paradies wird vom Wasser zerstört. Karin muss mit einer Nenn-Oma lange auf dem Hausdach frieren, bis die Rettung kommt. Danach dauertes einige Zeit, bis die Familie wieder zusammenfindet.
Die Geschichte wird in kurzen, abgehackten Sätzen, immer wieder unterbrochen durch den Kinderreim „Ringel, Rangel, Rosen“ erzählt. Karins Zweifel an ihren Eltern, die Angst, dass sie im Wasser ertrunken sein könnten, wird kurz angedacht, aber sofort wieder verneint.

Eine spannende Nachkriegsgeschichte, die die Flutkatastrophe aus Sicht einer Jugendlichen erzählt. Das Buch ist auch unter dem Titel „Ringel, Rangel, Rosen“ erschienen

Dagmar Mägdefrau

Die Welt von der ich träume

Die Welt von der ich träume
Marie Pavlenki
Thienemann
Verlagsempfehlung ab 10 Jahre
Nominiert für den Jugendliteraturpreis 2022
Ein Junge schlägt ein Buch auf und liest die Geschichte einer jungen Heldin:
Samaas Welt sieht anders aus als unsere jetzige. In der Wüste brauchen sie Sauerstoffflaschen zum Leben, Wasser wird in Form von Gelkapseln eingenommen, Tiere kennt sie nur aus Erzählungen der Alten. Diese nervt sie wiederum mit ihren ausgedachten Geschichten. In ihrem Übermut, ebenfalls eine Jägerin zu werden, begibt sie sich in Gefahr und merkt: Vielleicht hat die Stammesälteste doch Recht und das Fällen der Bäume ist ein großer Fehler …
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Mit Samaa hat Marie Pavlenko uns eine mutige Heldin geschenkt, der zurecht in der Rahmenerzählung ein Buch gewidmet wurde. Die kindliche Ich-Perspektive veranschaulicht ihren Prozess des Begreifens, darüber, wie wichtig die Natur und die Bäume sind - etwas, was viele Kinder auch heute vermutlich sowieso besser verstehen als manch Erwachsener.

Etwas schade fand ich, dass man in dem doch kurzen Buch länger braucht, um sich die utopische Umwelt ohne Bäume und mit anderer Nahrung zu erschließen, denn am Anfang merkt man nicht unbedingt, dass Samaas Welt keine erstrebenswerte ist. Umso gelungener ist ihre Erkenntnis: Ein lebendiger Baum bietet so viel mehr als ein toter. Ein tolles, altersgerechtes Buch zum Thema Umwelt und Achtsamkeit.

Raphaela Brosseron

Was du nicht erwartest

Was du nicht erwartest
Jan Cole
Verlag Monika Fuchs
Leseempfehlung ab 14 Jahre
Diese Story war tatsächlich nicht zu erwarten!
Nik ist Autist, soziale Situationen bereiten ihm Schwierigkeiten und sobald er etwas nicht in Form von Zahlen und Listen kontrollieren kann, bereitet er die Schwierigkeiten, vor allem seiner Mutter. Als Nik Stella sieht, versucht er ein Experiment, das so schief geht, dass eine Mutter einen vorübergehenden Aufenthalt in einer Klinik für ihn beschließt. Für Nik eine Horrorvorstellung.
Auch Maike braucht Kontrolle - allerdings über ihre Kalorien und ihr Gewicht. Dass ihre Essstörung ihre Gesundheit gefährdet, reicht nicht, um sich nicht gegen den Klinikaufenthalt zu wehren.
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Trotz ihrer Verschiedenheit vereint die beiden eins: Der Kontrollverlust motiviert beide, nicht in der Klinik bleiben zu wollen und so entsteht ein ungewöhnliches Duo, das auf eine doch sehr gefährliche Tour geht, wobei sowohl sie als auch der Leser viel über ihre Krankheiten lernen.
Die Idee, Autismus und Magersucht in einem Roman zu kombinieren und so darüber aufzuklären ist sehr geschickt, Nik und Maike ergänzen und verstehen sich, vielleicht fast zu gut, denn Nik findet ihr Verlangen Kalorien zu zählen eher spannend als beunruhigend. 

Wir erleben beide abwechselnd aus der Ich-Perspektive und dementsprechend ihre Wahrnehmung der Dinge, das ist einerseits sehr aufschlussreich, andererseits gerade bei Maike erschreckend realistisch. Der Autor, der noch einen speziellen, ungewöhnlichen, aber auch unterhaltsamen Einfluss auf die Geschichte nehmen wird, hat sich sehr viel Mühe gegeben hinter die Essstörung zu blicken und ich kann mir vorstellen, dass sich viele Betroffene wiedererkennen. Gerade deswegen würde ich ihnen das Buch nur bedingt empfehlen, da es doch alte Wunden aufreißen könnte. Alle anderen, die auf eine einfühlsame und auch humorvolle Weise Einblick in Maikes und Niks Lebensrealität bekommen möchten, werden in ihren Erwartungen vielleicht sogar übertroffen.

Raphaela Brosseron

Ein Buch, dass in vielem überrascht und das eine unerwartete Geschichte erzählt. Erzählt wird das Buch abwechseln von Nik, dem Autisten und Maike, die gegen ihre Magersucht kämpft.
Beide begegnen sich in der geschlossenen Psychiatrie und trotz ihrer Verschiedenheit, laufen sie gemeinsam fort. Niks Denkweise und sein ständiges Zählen und alles aufzulisten wird sehr realistisch geschildert. Er kann körperliche Nähe nicht ertragen, auch eine Umarmung der Mutter ist für ihn der reinste Horror. Das Zimmer im Krankenhaus bringt ihn völlig aus dem Gleichgewicht, es entspricht nicht seinem Standard.
Maike will sich nicht helfen lassen und verweigert auch in der Klinik die Nahrung, wird aber ständig gezwungen viele Kalorien zu sich zu nehmen. Da Nik ihre Situation und die Todesgefahr, die damit verbunden ist, erst spät erkennt, kommen die beiden gut miteinander aus. 

Ich fand es sehr spannend in die Köpfe der beiden Protagonisten schauen zu können und die für mich oft unbegreiflichen Beweggründe ihres Handels besser verstehen zu können.
Der Buchtitel erklärt sich am Ende auf eine ungewöhnlich Art, so wie sich einiges anders entwickelt als ich es erwartet habe.

Zu Beginn des Buches gibt es eine Triggerwarnung, die man auf jeden Fall beachten sollte. 

Dagmar Mägdefrau