• Wir kommen zurecht

    Wir kommen zurecht

    Annika Büsing

    Steidl

    Ohne Altersangabe / junge Erwachsene

    Nominiert für den Literaturpreis Ruhr 2025

    „Wir kommen zurecht“, könnte Philipp zu seinen Lehrkräften sagen, die seine phasenweise geistige Abwesenheit im Unterricht bemerken und nach seiner Situation zu Hause fragen. Oder zu seiner älteren Freundin, wenn es um sein Verhältnis zur Stiefmutter geht. 
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    Oder zu dem Mann, der eines Tages an der Tür klingelt und vieles verändert. Oder auch zu seiner Mutter, die versucht, wieder einen Platz in seinem Leben zu finden.
    „Manchmal dachte er, dass das sein ganzes Leben war: merken: ja, anmerken lassen: nein.“
    Doch die, die Philipp wirklich kennen, würden ihm diesen Satz nicht abnehmen. Zum Beispiel Lorenz, sein bester Freund. Einfach macht Philipp es auch ihm nicht. Obwohl Philipp ein feines Gespür für seine Umgebung hat, bleibt er oft undurchdringlich. Vielleicht ist das seine Art, die psychische Erkrankung seiner Mutter zu verarbeiten, zu absorbieren, zu kompensieren. Selbst als Lesende war ich mir nicht immer sicher: Was geht wirklich in ihm vor? Und wenn er nicht gerade in Imaginationen und surreale Szenarien abdriftet (vielleicht auch befeuert durch den Konsum einer bestimmten Pflanze) bleibt vieles in ihm verschlossen.
    Die gewählte Erzählperspektive passt hervorragend. Philipp aus der Ich-Perspektive sprechen zu lassen, hätte seiner Figur nicht entsprochen, zu direkt, zu offen. Trotzdem ist die Perspektive sehr wertschätzend ihm gegenüber, geht radikal (aber auch fair) mit den Erwachsenen in seinem Leben um.
    Ein Erwachsener, der auch Philipp werden musste, wird er jetzt doch 18.
    Ein besonderer Familienroman, der fordert, ohne zu überfordern, und der in seiner Vielschichtigkeit beeindruckt.

    Raphaela Brosseron

    Ich musste schon das halbe Buch lesen, bis Philipp seinen 18. Geburtstag feiern konnte. Sein Vater, Chefarzt der Chirurgie, lebt seit einigen Jahren mit Stella, einer jungen Frau, zusammen. Philipps Verhältnis zu ihr, die er seine Stiefmutter nennt, ist alltäglich und ohne große Probleme. Mit Lorenz ist er schon lange befreundet und die beiden verbringen die meiste Zeit zusammen. Philipp hatte bisher immer gute Noten und jetzt, wo es auf das Abitur zugeht, schwänzt er häufig den Unterricht und kifft lieber mit Lorenz auf dem Friedhof.
    Mit einer Mitschülerin, mit der er zusammen war, hat Philipp wegen Mascha Schluss gemacht. Dass Mascha die ältere Schwester ist, macht die Sache besonders schwierig. Aber Mascha ist ganz anders als die Mädchen, mit denen er bisher zusammen war.
    Philipp hat immer wieder kleine Flashbacks, so erinnert er sich an einen Hund oder an einen italienischen Jungen mit einem Fußballtrikot, das Philipp sich auch gewünscht hätte. Philipp geht noch in den Kindergarten, als seine Mutter die Familie nach einem Sizilienurlaub verlässt. Seine Erinnerungen an die Mutter sind trübe, vielleicht auch, weil er sie lieber vergessen will. Doch dann wird seine Mutter von der Polizei gesucht und damit bringt sie wieder Chaos in das Leben von Philipp.
    Philipp, der uns seine Geschichte selbst erzählt, ist schonungslos offen und seine bzw. die Sprache von Annika Büsing ist klar und offen. Manchmal werden Worte benutzt, die mir nichts sagen, was aber wohl an meinem Alter liegt. Ich fand es sehr interessant, auf diese Weise zu erleben, was eine psychische Erkrankung mit den Menschen in deren Umfeld macht. Erst mit seiner Volljährigkeit findet Phillip die Kraft, selbstbewusst seinen Weg zu beginnen.

    Dagmar Mägdefrau
  • Neue Heimat – 0502 – Band 3      

    Neue Heimat – 0502 – Band 3      

    Frauke Angel

    Stephanie Brittnacher

    Tulipan

    Verlagsempfehlung ab 12 Jahre

     Diesmal erzählt Vivi, die Ghettoqueen aus Nummer 0502 die Geschichte. Sie macht sich im Moment sehr große Sorgen um ihre Mutter. Die hübsche junge Frau ist arbeitslos und ertränkt ihre Sorgen immer häufiger im Alkohol. Deshalb ist Vivi eine ganze Zeit nicht mehr bei der Neue-Heimat-Gang aufgetaucht, denn sie wollte ihre Mutter nicht unbeobachtet lassen.

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    An einem Morgen trifft sie dann auf Enna, deren Tourette-Aussprüche inzwischen weniger krass sind. Die beiden sind entsetzt, denn im Eingangsbereich des Hochhauses gibt es Blutspuren, die in den Fahrstuhl führen. Nachdem sie der Spur nachgegangen sind, melden sie den Vorfall der Polizei. Doch die sehen das nicht als Fall an und so werden alle Spuren beseitigt. Die Gang wird sofort benachrichtigt und der lässt die Sache keine Ruhe. Trotzdem genießen sie den Sommer und gehen in der Kiesi schwimmen und lassen sich die Pommes mit Majo im Paradies schmecken. Dort unternehmen die Kids so einiges, um den Umsatz voranzubringen.
    Es passiert wieder eine ganze Menge in und um die Hochhäuser und an der Kiesgrube. Jack und Joy werden zu zwei Personen, Vivians Mutter Nelly arbeitet wieder, Polizisten tauchen bei Firuz mit einer Überraschung auf und dann geht es noch um häusliche Gewalt und die Rettung einer Ente.
    Ich hab das Buch in einem Rutsch lesen müssen, weil es so spannend war und weil die Schicksale dieser Kinder und ihrer Familien so viel Zündstoff bietet, dass ich einfach dranbleiben musste.
    Ich muss noch etwas zu den kleinen Bildern am Anfang eines jeden Kapitels sagen, sie sind so schön gezeichnet und machen neugierig aufs Lesen.

    Dagmar Mägdefrau

  • Schnee

    Schnee

    Marie Duedahl

    Renate Götz Verlag

    Verlagsempfehlung ab 12 Jahre

    „Schwarz wie die Nacht.
    Einzelgängerin.
    Ein Stachelschwein.
    Ein Kind von Loosern.
    Die böse Fee.
    Alles das war ich.
    Aber dann traf ich Schnee.“
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    Dieses Gedicht ist auf dem rückseitigen Cover des dünnen Büchleins zu lesen. Schnee ist eine Schülerin der 9a und sie ist weiß und fast durchscheinend. Im Gegensatz dazu steht Lulu, die nach einigen Schulwechseln in die 9a kommt. Sie ist wegen ihres Vaters, von dem sie nichts weiß, dunkelhäutig. Schnee kann Lulu mit einer Umarmung und dem Satz „Wir sind schön“ all' ihre Wut nehmen. Schnee hat bei ihrer Hippiemutter ein gemütliches Zuhause, während Lulu bei ihrer alkoholkranken Mutter und dem 16. Stiefvater wohnt. Schnee gibt ihr Mut und fordert Lulu auf, nach ihrem Vater zu suchen.
    Das Buch hat meist zweiseitige Kapitel mit großen Buchstaben und gedichtartigen Texten mit kurzen klaren Sätzen und ist deshalb sehr gut lesbar. Zu Beginn eines jeden Kapitel ist ein Satz aus dem Text auf dem grauen Hintergrund des Covers gedruckt.
    Die Geschichte wirkt trotz ihrer Traurigkeit auf mich hoffnungsvoll. Ich denke ,Lulu wird es schaffen, in sich nicht nur den Looser zu sehen. Ein sehr gut lesbares Buch mit starken Mädchenfiguren.

    Dagmar Mägdefrau

  • Voll drauf

    Voll drauf

    Jan-Christof Scheibe

    Juliane Schlumberger

    Hase und Igel

    Verlagsempfehlung Klasse 5, 6, 7 und 8

    Finn ist gerade 13 geworden, als er sich zum ersten Mal verliebt – in die zwei Jahre ältere Jessica, die immer cool aussieht, aber selten allein unterwegs ist. Auf einer Party wittert er seine Chance, sie zu beeindrucken, und glaubt, dafür trinken und rauchen zu müssen. 
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    Da sein erster Versuch alles andere als cool wirkt, fängt er an, auch außerhalb von Partys zu üben und gerät schnell in einen Strudel aus Partys, Alkohol und Kontrollverlust. Das bleibt auch seinen Eltern nicht verborgen, doch selbst Hausarrest bringt nichts – es muss erst richtig eskalieren, bevor er zur Vernunft kommt.
    Für viele mag es unverständlich sein, wie jemand aus einem guten Elternhaus so abstürzen kann. Doch dieses Beispiel zeigt, dass es jedem passieren kann, wenn man die falschen Leute beeindrucken will. Warum Finn überhaupt dachte, bei Jessica eine Chance zu haben, die ihn nur „Kleiner“ nennt und sonst kaum beachtet, bleibt mir ein Rätsel. Aber so sind 13-Jährige vielleicht manchmal. Der Roman wirkte auf mich nicht besonders modern, und die Wortwahl erschien mir stellenweise unnatürlich, war dafür aber leicht verständlich. Alles passierte sehr schnell, sodass Jugendliche nach dem Lesen vielleicht denken könnten: „So schlimm wird es bei mir schon nicht werden.“ Trotzdem fand ich gut, dass Finn viele Fehler macht, bevor die Moral der Geschichte deutlich wird.

    Raphaela Brosseron
  • Drei Kinder und ein kleiner Hund

    Drei Kinder und ein kleiner Hund

    Maria Braig

    Ursula Maria Wartmann

    epubli

    Leseempfehlung ab 8 Jahre

    Nele und Toni ahnen noch nicht, dass sie einen aufregenden Sommer vor sich haben, als ihre Eltern ihnen mitteilen, dass der geplante gemeinsame Urlaub, von dem sie bereits allen erzählt hatten, leider ausfallen muss. Der Grund: Ihre Eltern, die als Archäologen tätig sind, haben einen wichtigen Auftrag erhalten. 
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    Die Alternativen, den Sommer bei Oma Birgit oder sogar alleine in der Schrebergartenanlage zu verbringen, können vor allem Nele zunächst nicht wirklich trösten. Was die beiden jedoch nicht wissen: Das eigenständige Übernachten in der Gartenanlage wird nicht nur spannend und abwechslungsreich, sondern führt am Ende des Sommers auch dazu, dass sie nicht mehr nur zu zweit sind. Sie gewinnen einen tierischen Freund und einen neuen menschlichen Freund, Jo.
    Jo hat ebenfalls keine leichten Voraussetzungen für einen schönen Sommer. Seit dem Tod seiner Mutter ist sein Vater alkoholkrank. Das Buch greift damit viele ernste Themen auf, auch Rassismus wird thematisiert. Neles und Tonis Großvater stammt aus Kamerun, und selbst in der dritten Generation müssen sie ihren Mitschüler:innen erklären, warum der Begriff „hautfarbener Stift“ keinen Sinn ergibt. Die Freundschaft der Kinder wird jedoch sehr positiv dargestellt, und es ist erfreulich, dass die Erwachsenen sich nicht komplett zurückziehen, sondern Verantwortung übernehmen.
    Manchmal empfand ich die Geschichte jedoch als sehr erwachsen geschrieben. Zum Beispiel wird das Wort „zocken“ als modernes Wort hervorgehoben, was meiner Meinung nach nicht ganz nah an der Jugend wirkt. Solche Stellen gab es häufiger. Trotz der Schwere einiger Themen bleibt die Erzählung eine schöne Geschichte über einen spannenden Sommer.

    Raphaela Brosseron

    Die Schwestern Nele und Toni freuen sich auf die gemeinsamen Ferien mit ihren Eltern, sie wollen mit dem Hausboot durch Holland schippern. Doch dann bekommen die Eltern einen eiligen und dringenden Auftrag und deshalb sollen die beiden bei ihrer Oma bleiben. Nachdem sich ihre Wut etwas gelegt hat, freuen sich die beiden Schwestern dann doch, dass Papa das Gartenhäuschen für sie hergerichtet hat. Sie dürfen sogar dort übernachten. Mareike und Astrid, das Paar von nebenan, werden sich ein wenig um sie kümmern. Doch dann vergisst Nele die Tür des Gartenhäuschens abzuschließen und schon nistet sich Jo mit seinem niedlichen kleinen Hundewelpen Willi dort ein. Doch die Vier schließen schnell Freundschaft und nun gilt es Jo zu helfen, der Schlimmes zu Hause erleben musste und nun nicht mehr zurück will. Doch die tatkräftigen Mädchen haben einige gute Ideen.
    Der Großvater der beiden Mädchen kommt aus Kamerun und deshalb spielt in einigen Situationen die dunkle Hausfarbe der beiden eine Rolle. Nele und Toni sind ganz normale Schwestern, sie zanken sich und halten, wenn es darauf ankommt, zusammen. Jos Leben ist zurzeit nicht ganz einfach. Sein Vater kann den frühen Tod seiner Frau nicht verkraften und kümmert sich wenig um seinen Sohn, der doch auch den Tod seiner Mutter noch nicht überwunden hat.
    Besonders Toni mag ich, weil sie einfach alles sagt, was ihr in den Kopf kommt, und meist hat sie damit ja auch Recht.
    Obwohl das Buch einige Probleme anspricht, so bleibt es doch positiv gestimmt und am Ende sieht es sehr hoffnungsvoll aus.

    Dagmar Mägdefrau

  • Molly Blume

    Molly Blume

    Will Gmehling

    Anna Schilling

    Peter Hammer Verlag

    Verlagsempfehlung ab 8 Jahre

    Die besten 7 Bücher für junge Leser

    Bestenliste Leselotse

    Mit verschränkten Armen und zu allem entschlossen sieht man Molly auf dem Cover stehen, selbst ihr Rock kann sich der Dynamik nicht erwehren. Mit den roten Wuschelhaaren und ihrer runden, blauen Brille wirkt sie auf mich, wie ein Mädchen, das weiß, was sie will.
    In diesem Fall, was sie nicht will, denn sie will nicht, dass ihre Eltern ständig auf ihr Handy starren. Molly Blume hat längst erkannt, dass die beiden süchtig sind, abhängig von Smartphones.
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    Ein Bild zeigt ihren Vater, gleich nach dem Wachwerden auf der Bettkante die Neuigkeiten checken, ihre Mutter schaut sogar beim Zähneputzen auf den kleinen Monitor. Molly sitzt gelangweilt auf den Klodeckel und überlegt sich eine Lösung. Natürlich wird es auch beim Frühstück nicht besser. Die Eltern sind „total weggetreten. Sie können nicht anders. Ein Leben ohne Instagram und TikTok macht keinen Sinn mehr für sie.“ An der Stelle werden sich einige Erwachsene sich an ihre Nase fassen müssen. Auch beim Wandern oder beim Radrennen haben Papa und Mama die „kleinen schwarzen Platten“ vor der Nase. Als Mama selbst während einer Beerdigung das Handy nicht aus der Hand lassen kann und sie keine Zeit für Mollys Belange haben, entschließt sich Molly, zu handeln.
    Ein humorvolles Buch, das leider oft die Wirklichkeit spiegelt und ich hoffe, nicht allzu viele Kinder werden eine ähnliche Erziehungsmaßnahme anwenden wie Molly. Neben der tollen Geschichte, deren positiver Ausgang zeigt, dass auch diese Sucht heilbar ist, sind die Buntstiftzeichnungen einfach der Hit. Was Anna Schilling da alles ausdrücken kann, für mich einfach unglaublich.
    Es gibt schon einige Auszeichnungen für das Buch und ich habe keine zu vergeben, aber dieses Buch hat jede Auszeichnung für ein Kinderbuch verdient.

    Dagmar Mägdefrau